Mercedes Durandt
Er ist der kleine Bruder des großen Traums. Die Rede ist vom Porsche Boxster. Denn während der klassische 911 er Porsche der rollende Beweis eines gut florierenden Geschäftes oder doch zumindest einergeschickt gewählten Partnerschaft ist, fährt der neue Boxster unter dem Radar der Neidgesellschaft. FrauinFahrt war 14 Tage mit dem offenen Stuttgarter unterwegs und hat sich in dem Understatement-Porsche pudelwohl gefühlt.
Der Boxster – eine Linie mit Stil
Mal ehrlich, liebe Großstatdtfreundinnen, wie viele 911er in schwarz und silber haben Sie heute morgen beim Brötchen holen gesehen? Eben. Und wie viele Boxster? Sehen Sie. Und hier beginnt bereits die Reise in das Land des Understatements. Denn obwohl auch die zweite Generation des Porsche Boxster alle Gene der Sportwagenfamilie aufweist, verfügt er doch über diese ganz spezielle Gabe sich bei Bedarf unsichtbar zu machen. Sicher, auch unser Testwagen war, dank seiner roten Lackierung, stets präsent, doch er versprühte nicht diesen speziellen Touch von Luxus, wie der große Bruder 911, wirkte aber dennoch exotisch und edel. Vermutlich auch, weil der Boxster eher seltener im Straßenbild zu sehen ist, als der klassische Elfer. Nur eines gelingt dem Boxster nicht, nämlich das Klischee des Hausfrauenporsches zu erfüllen. Dafür ist er dann doch zu maskulin mit seiner tiefgezogenen Front, seinen brachialen seitlichen Luftkiemen und dem sündig knackigem Heck.
Porsche Boxster S
So schick, so praktisch?
Wie bei nahezu allen schönen Dingen dieser Welt, stellt sich nach dem Moment der Entzückung über die gelungene Optik recht schnell die Frage nach der Alltagstauglichkeit. Und anders, als bei ein paar drückenden High Heels, die nach einer rauschenden Ballnacht im Schrank ihrem Verfallsdatum entgegenschlummern, sollte ein 100.000 Euro Sportwagen in dieser Hinsicht schon mehr bieten. Der Boxster gibt sich in diesbezüglich zwei geteilt. Da sind zunächst die beiden Kofferräume. Einer im Bug, einer im Heck. Beide zusammen sind groß genug für das Nötigste für zwei Wochen Urlaub.Daneben sind sie gut zugänglich und ausreichend verkleidet, wenngleich man sich angesichts des Kaufpreises schon fragt, warum es nicht für eine simple Innenverkleidung der beiden Kofferraumklappen gereicht hat. Aber Achtung! Wer das Beauty Case mit all den Lipp Gloss und Wunder Cremes in Hamburg in den hinteren Kofferraum legt, findet in München nur noch Flüssiges vor, so heiß wird es in dem Abteil, dass direkt hinter dem Sechszylinder sitzt.
Hier gehts’s heiß her-Porsche Boxster Kofferraum
In den Innenraum passt das Case aber auch nicht, denn ausser einem knapp geschnittenen Handschuhfach und ein paar Mini-Ablagen offeriert der Porsche hier nur wenig Stauraum. Und wo wir gerade beim Meckern sind, der Boxster ist zum Einkaufen letztlich auch deshalb ungeeignet, weil er in alle Richtungen unübersichtlich ist und Porsche dem Beau nicht mal gegen Mehrpreis mit einer Rückfahrkamera ausrüstet.
HighTech auf die Spitze getrieben
In der Bedienung gibt sich der Boxster dagegen versöhnlich. Vom Marken typischen Zündschloss an der linken Seite der Lenksäule mal abgesehen, zeigt sich der Porsche volksnah, wie ein Polo. Auf den ersten Blick gelingt selbst Neueinsteigern eine problemlose Beherrschung der grundfunktionen. Doch der Boxster kann auch anders, denn wer sich mit dem Cockpit länger beschäftigt, erlebt die vielfältigen Möglichkeiten des Sportwagens. In unserem Testwagen war nahezu alles montiert, was die Preisliste hergab und so durfte fröhlich zwischen dem “Sport“ und „Sport plus“ Programm gewählt werden oder die Heizung bzw. Belüftung der komfortablen und vielfach elektrisch verstellbaren Sportsitze ausprobiert werden.
Naviagtionssystem mit Schwächen
Soviel Luxus hätten wir auch bei dem Radio-Naviagtionssystem erwartet, dass nur ein Prädikat verdient: Veraltet. Zwar ist der Sound des von Soundexperten „Bose“ beigesteuerten Lautsprechersystems recht ordentlich, die restlichen Funktionen des Systems, wie Navigation oder Telefonie, können aufgrund einer veralteten Menüstruktur und einer wenig fortschrittlichen Kartendarstellung nicht dem Anspruch an die Marke Porsche gerecht werden. Das stört vor allem im täglichen Gebrauch, denn oftmals braucht es eine gefühlte Ewigkeit, bis sich das Radio bequemt die im Handy abgespielte Musik via Bluetooth-Stream über das Bordlautsprechersystem wiederzugeben. Und auch die Eingabe von Routen mit mehreren Zwischenzielen ist im Boxster so zeitraubend, dass man schnell die Lust an dem System verliert. Einziger Vorzug ist die perfekte Integration des Zweitbildschirms in das klassisch schöne Cockpit des Boxsters. Zu wenig, wenn man bedenkt, dass Porsche über 3.000 Euro für dieses Relikt aus den späten 90er Jahren berechnet.
Dank miesem Navi kann man sich im Boxster schon mal verirren
Gänsehaut pur – das Fahrerlebnis
Doch der Ärger über das veraltete Infotainment verfliegt mit der ersten Schlüsselumdrehung. Im Boxster S erwachen die sechs Zylinder in Sekunden schnelle aus ihrer Lauerhaltung. Der Druck auf das Gaspedal erweckt 315 PS und nach dem Einlegen der Fahrstufe „D“ sprintet der Porsche bei Bedarf binnen 4,9 Sekunden auf 100 km/h. Doch das ist nur die halbe Wahrheit, denn der Reiz dieses Porsche besteht in dem Können, nicht Müssen. Schnell das vollelektrische Dach öffnen (geht bis weit über 50 km/h), die Sonne reinlassen und gemütlich unter sonorem Brabbeln des herrlichen 3,4 Liters die Kö entlang bummeln oder aber eine herrlich einsame Landstraße entlagcruisen. Das ist Porsche Fahren für Genießer, nicht für Gehetzte. Wer es unbedingt ausprobieren will, schaltet das „Sport“ oder „Sport Plus“ Programm ein, dann wird aus dem sanften Gleiter ein brettharter Rennwagen, der mit lautem Auspuff die Nachbarn ebenso erschreckt, wie den Beifahrer mit sensationellen Kurvengeschwindigkeiten.
Drama an der Preisliste
265 PS im Boxster oder 315 PS im Boxster S ? Die Frage stellt sich nach einer ausgiebigen Probefahrt im „S“ Modell nicht mehr. Wir empfehlen natürlich den „S“, schon wegen des tollen Motors, der ja eigentlich aus dem Elfer stammt und der gerade den speziellen Reiz dieses Porsche „Einstiegsmodells“ ausmacht. Doch dann wird es kritisch, denn die Preisliste hält soviel Individualisierungsmöglichkeiten bereit, dass man Tage braucht, um die für sich passende Ausstattung zu konfigurieren. Am Ende ist es wie mit Schuhen: Man kann nie genug haben und das Limit setzt eigentlich nur der Preis. Der fängt im Falle des Boxster S mit harmlosen 60.191 Euro an und endet nach einer Sezession in der Preisliste nie unter 80.000 Euro. Doch damit ist es nicht getan, denn der Porsche ist kein Golf und schlägt auch im Unterhalt gnadenlos zu. Lediglich in Sachen Verbrauch irritiert einen der Sportler aus Zuffenhausen mit einer unerwarteten Knauserigkeit. Unter 10 Liter ist problemlos möglich, über 12 Liter nur bei extrem flotter Fahrweise. Kostenlos dazu gibt es noch einen konkurrenzlosen Werterhalt, denn auch gebraucht sind die offenen Flitzer von Porsche begehrt. Doch vermutlich wird es lange dauern, bis sich auch dieser Vorteil des Boxsters der neuen Besitzerin erschließt, denn so schnell läßt einen dieses faszinierende Auto nicht wieder los.
Fazit: Der neue Boxster von Porsche hat spätestens in der „S“Version alles, was ein Sportwagen braucht. Von einer tollen Optik, einem hinreißenden Motor und einem perfekt schaltendem Getriebe bis hin zu einer unerschütterlichen Solidität bietet dieser Porsche alle Gene eines Traumwagens. Dazu hat er die erfrischende Zurückhaltung, die die Betrachter nicht nur neugierig auf das Auto, sondern auch auf dessen Besatzung macht. Unser Rat – nehmen Sie ihn in rot und lassen sie ihn wirken.
Pro:
Sehr gut ansprechender Motor
Herausragende Verarbeitungsqualität
Perfekter Antrieb mit hohen Leistungsreserven
Geringer Wertverlust und Verbrauch
Vielfältige Individualisierungsmöglichkeiten
Contra:
Veraltetes Infotainment-System
Hohe Versicherungskosten
Wenig Ablagen im Innenraum
Preiswert anmutendes Schaltergeräusch
Unpraktische Verdeckbetätigung
Porsche Boxster S in Kürze:
Maße und Gewichte: Länge x Breite x Höhe 4,374 x 1,80 x 1,281 m, Radstand 2,47 m, Wendekreis 11,0 m; Leergewicht ab 1425 kg, Zuladung 542-657 kg, Kofferraumvolumen 135-155 l; Tankinhalt 64l.
Boxster S: Leistung 232 kw/315 PS, max. Drehmoment 360 Nm bei 4.500-5.800/min, 0–100 km/h in 4,9 s, Spitze 277 km/h; Normverbrauch 9,4 l S/100 km, CO2-Ausstoß 149 g/km; Euro5; lieferbar mit Sechsgang-Schaltgetriebe und Siebengang-Doppelkupplungsgetreibe ab € 63.017,- .